Selbstorganisierte Gehaltsfindung
TL;DR: das Canvas als (PDF-Download) ohne Verbindung zu Holacracy.
Bei einem meiner früheren Arbeitgeber habe ich mich im Rahmen von Selbstorganisation und Holacracy intensiv mit meinen Kolleg:innen mit den Themen Gehalt, Wirksamkeit und Beitrag zum Erfolg des Unternehmens beschäftigt. Dazu hatten mein damaliger Kollege Daniel und ich im September 2018 einen Vortrag auf der BedCon gehalten:
Für mich war bei diesem Themenkomplex am meisten der Gedanke motivierend, Impulse in ein System zu geben, welches das gemeinsame Verständnis aller Beteiligter verbessert. In meiner eigenen Vergangenheit hatte ich – wie wahrscheinlich jeder Mensch im Laufe des eigenen Berufslebens – einige schlechte Erfahrungen in diesem Themenbereich gemacht.
Auf den Ideen und Impulsen aus unserem Vortrag aufbauend, habe ich nach einem tollen Vortrag von Udo Wiegärtner und Doris Dietz auf der Manage Agile 2018 über das Thema „Und Augenhöhe geht doch …“ (YouTube Video) weitere Möglichkeiten gesehen. Die im Vortrag vorgestellte Idee basiert auf dem Konzept eines Business Model Canvas: erstelle ein Canvas für Mitarbeitergespräche, um diese zu verbessern. Diese Idee fand ich so inspirierend, dass ich einen ersten Entwurf für die Mitarbeitergespräche meines damaligen Arbeitgebers in einem selbstorganisierten System entwarf. Dies habe ich anschließend mit meinen Kolleg:innen verfeinert und in die Firma gebracht. Die damit durchgeführten Mitarbeitergespräche hatten eine tolle einheitliche Struktur und waren eine großartige Unterstützung bei den eigentlichen Entwicklungs- und Performancegesprächen. Das Vorgehen half sowohl den „Führungskräften“ (Anmerkung: das Konzept „Führungskraft“ haben wir bei Europace im Rahmen der Selbstorganisation auf andere Art gestaltet) als auch den Kolleg:innen dabei, ein tiefgehendes und gutes Verständnis des vorhergehenden Jahres zu erlangen.
Was ist mit nicht holakratischen Unternehmen?
Auf den Erfahrungen aus den Mitarbeitergesprächen 2018/19 aufbauend und aufgrund der vielen Gespräche auf Konferenzen und Meetups habe ich das Canvas erneut abgewandelt und stelle es sehr gern als Alternative für nicht holakratisch organisierte Unternehmen zur Verfügung. Nachfolgend ein A0 Beispiel mit angedeutetem Post-its:
Ich empfehle es tatsächlich als A0-Poster drucken (PDF-Download) zu lassen und mittels Post-its anschließend gemeinsam das vergangene Jahr zu reflektieren.
Ablauf
Der Schwerpunkt des Canvas ist ausgerichtet auf ein gutes gemeinsames Verständnis des vergangenen Jahres und damit einer tiefgehenden gemeinsamen Reflexion sowie dem Abgleich der Erwartungen. Diese Version des Canvas habe ich so gestaltet, dass oben links mit den negativen und positiven Ereignissen des letzten Jahres angefangen wird. Anschließend bewegt man sich gemeinsam im Uhrzeigersinn durch die einzelnen Bereiche, bis man in der gemeinsamen Perspektive für das nächste Jahr endet.
Nach dem Bereich der Ereignisse des letzten Jahres folgt der Wechsel zur eigenen persönlichen Entwicklung und der eigenen Erfahrungen. Anschließend ist Raum für die eigenen Stärken und gelebten Verantwortungen. Den Bereich Potenziale habe ich absichtlich ausgelassen, da diese für eine gemeinsame Gehaltsdiskussion eine zusätzliche Komplexitätsebene einbringen können, was das Gesamtthema zusätzlich erschwert. Die für die Wirksamkeit relevanten Aspekte tauchen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin in den Erwartungen bzw. in dem Bereich Zusammenarbeit auf. Meiner Erfahrung nach ist es enorm wertvoll vor der gemeinsamen Erstellung des Canvas persönlich Feedback einzuholen, um das eigene Selbstbild mit dem Fremdbild abzugleichen.
Im Bereich „Meine Motivatoren“ ist man eingeladen, mithilfe der Moving Motivators über die wichtigsten Aspekte der eigenen Motivation zu reflektieren. Die Bereiche „Zusammenarbeit mit meinem Team“ und „Zusammenarbeit mit meiner Organisation“ sind für alle Facetten der Kollaboration im Alltag und darüber hinaus gedacht. Die Aufteilung auf „Team“ und „großes Ganzes“ kann dabei unterstützen bestimmte Perspektiven auf den eigenen Arbeitsalltag einzunehmen (z. B. hervorragende Kollaboration im eigenen Team, allerdings kaum Aspekte in der Betrachtung der Organisation).
Bis hierhin ist die Perspektive des Canvas eher in die Vergangenheit gerichtet oder berührt vielleicht punktuell den Zeitraum bis zum aktuellen Tag. Dies ändert sich mit den folgenden Bereichen „Impulse meines Umfeldes“, „Erwartungen der Organisation an mich“ und „meine Erwartungen an mich“. Dort schaut man auch in die Zukunft und gleicht den Blick gemeinsam ab. Bei dem Bereich der Erwartungen ist meine Erfahrung, dass man im Termin des Canvas hier nicht zu einer gemeinsamen Übereinkunft kommen muss. Es kann auch ausreichend sein, einfach die Erwartungen auszutauschen und eine Vereinbarung nachgelagert zu diskutieren.
Der Weg durch das Canvas endet mit den konkreten Gedanken über das nächste Jahr, mit den Perspektiven „Was will ich weitergeben?“, „Was nehme ich mir für das nächste Jahr vor?“ und „Was will ich lernen/was brauche ich?“. Dabei war mein Leitgedanke immer, nicht das folgende Jahr in Form von Jahreszielen zu planen, sondern eher leichtgewichtig über das zu reden, was bereits jetzt erkennbar ist und was sich ggf. aus den Erwartungen zu diesem Zeitpunkt besprechbar ist.
Den endgültigen Abschluss macht das Canvas mit dem gemeinsamen Finden des Gehaltswunsches und eines offenen Austausches über die dahinter liegenden Bedürfnisse. In meiner Vergangenheit wurden die eigentlichen Angebote anschließend über Methoden gefunden, die den Rahmen dieses Posts sprengen würden und von denen einige Facetten bereits in dem Vortrag von Daniel und mir auftauchen.